Klaus Florian – 25.3.12

Mit seinem Ausstellungstitel fasst Klaus Florian fünf verschiedene Werkgruppen zusammen, die in den letzten knapp zehn Jahren entstanden sind. Werkgruppen, die abgeschlossen sind und solche, die noch wachsen, Werkgruppen, die sich auf konkrete Impulse beziehen und solche, die eher vage innere Befindlichkeiten des Künstlers spiegeln.
Beginnen wir mit einem Blick auf den ältesten hier gezeigten Zyklus, den „Block P“ (2003-2004). Darin finden sich eigentlich alle wesentlichen Elemente der Kunst von Klaus Florian wieder: die Zeichnung als primäres Medium der Darstellung und die fast malerische Handhabung der Fläche, die Lust am Experimentellen in der Verbindung unterschiedlichster Materialien – hier sogar in der Verwendung von Gaze als Collage – und der Verzicht auf konkrete gegenständliche Motive. Selbst wenn an der einen oder anderen Stelle eine Form als Kreuz, Gefäß oder architektonisches Gebilde auszumachen ist, geht es Klaus Florian dabei nicht um die Wiedergabe einer speziellen körperlichen Gestalt oder die Abbildung einer realen Situation, sondern um eine abstrahierte Form der Darstellung von einer uns umgebenden Welt, in der der Eindruck, das Bewusstsein und die Erinnerung an Seiendes und Gewesenes, an Dingliches und Erlebtes ineinander fließen zu einer tiefgründigen und bizarren, fremden und doch nicht unnahbaren künstlerischen Bildwelt. Die verhaltene Farbigkeit, die erdig und zugleich licht wirkt, dominiert die Werkgruppen des ersten Jahrzehnts unseres Millenniums, und wird erst von der jüngsten Gruppe „Aroma“ durch eine fast poppige Koloratur abgelöst. Von schmeichlerischer Wärme jedenfalls ist der „Block P“, der das Auge des geneigten Betrachters mit Variantenreichtum in Formgebung und Malweise zum Lustwandeln in einen autonomen Kosmos malerischer Zeichnung einlädt.

Ähnlich diffus wie der „Block P“ erscheint die Gruppe „Habitate“ (2006-2011), die Klaus Florian in zwei verschiedenen Größen fertigt. Der ansonsten durchaus beredte Künstler, der die Hintergründe seiner Kunst gerne und freimütig in legerer und heiterer Weise preisgibt, schweigt hierzu lieber. Zu nah, zu intim, zu sensibel wäre eine dezidiert Offenbarung der inneren Motive, die Klaus Florian zu dieser Bildserie veranlasst haben. Diese Inhalte wollen sich nicht gern entschlüsseln lassen, aber hierin mögen sich – folgt man dem Assoziationsfeld des Titels – innere Behausungen manifestieren, als verleihe der Künstler seinen Sehnsüchten ein Gesicht, als gäbe er den Orten und Ereignissen Raum, die er liebt und schätzt, realen Orten und Räumen, aber auch erträumten und ersehnten. Große Farbflächen kontrastieren Linien und Zeichnungen, gelb, orange und schwarz sind die dominanten Farben, Farben voller Energie und Dynamik. Die abstrakten motivischen Elemente fügen sich zusammen zu absurden Gebilden, die unsere Lust am Assoziieren wecken. Hier bläht sich so etwas wie ein Heißluftballon unter, nein über der Hitze einer Gasflamme auf, dort zieht das Heck eines Flugzeugs wie die Flute eines Walfisches durch den Raum, Schraffuren deuten Windzug und Richtung an, in einem weiteren Bild scheint sich eine Tür in einem Zeppelin oder Kokon zu öffnen, anderswo mag man die breiten zeichnerischen Bänder für Straßen oder Autobahnen halten. In diesen Bildern ist Bewegung und Dynamik, die Lust am Reisen bricht sich hier vielleicht Bahn, die Sehnsucht nach fremden Orten, die neue Impulse mit sich bringen, neue Sichtweisen, neue Perspektiven. Hier pulsiert etwas, ein herzähnliches Gefäß, in dem es brodelt und gärt wie im magischen Kessel, Impulse und Strömungen durchziehen die Bildflächen. Aber trotz ihrer Energie und Dynamik sind diese Bilder nicht unruhig oder hektisch; ihre Wildheit und Bewegung basiert auf einer tragfähigen Fläche, einer soliden Basis, von der aus es sich starten lässt in diese fremden, undefinierten und rätselhaften Behausungen und Lebens-Räume.

Etwas wärmer in der Farbigkeit sind die größeren Formate der „Habitate“-Gruppe; auch hier wechseln sich völlig freie, abstrakte Formen, die über den Bildgrund mäandern, mit flächigen, fast malerischen Partien ab, bisweilen mag man in den ungegenständlichen Formen sogar wesenhafte Züge entdecken, doch wollen sich auch hier die „Motive“ nicht als solche fassen lassen. Die Verschwiegenheit des Künstlers zu diesen Werken kongruiert erstaunlich gut mit der spröden Lesbarkeit der Werke selbst.
Die anderen Werkgruppen machen es uns leichter. Obwohl auch hier die Abstraktion der Zeichnung dominiert, gibt der Künstler aufschlussreichen Einblick in die Genese der Bilder und damit einen assoziationsreichen Zugang zu selbigen. Der „FundUS“ von 254 Blättern im DIN A 4-Format, von denen hier 90 ausgestellt sind, entstand in einer Zeit (2006-2007), in der Florians Tochter für dreizehn Monate in den USA weilte (daher der mit dem Wortsinn spielende Titel) – ein gutes Jahr in Übersee, fern der väterlichen Fürsorge und des unmittelbaren kommunikativen Zugriffs. Um seinem Bedürfnis nach gedanklicher Nähe Raum zu geben, richtete sich der Künstler in seinem Atelier ein Eckchen ein für diese Blätter, die – fast wie eine Art Tagebuch – über Monate hinweg Gedanken, Ideen und Sehnsüchte in zeichnerischem Duktus mit Kreide und Ölfarbe auffingen. Nicht jeden Tag entstand ein Blatt, die Produktion verlief eher unregelmäßig, aber wenn, dann sehr intensiv im imaginierten gedanklichen Austausch mit der Tochter – und damit einhergehend mit allem, was seitens des Künstlers zu jener Zeit mit jenem Land in Verbindung zu bringen war. So nimmt es nicht Wunder, wenn immer wieder die ‚Stars and Stripes’ auftauchen, in verschiedensten kryptischen Variationen, ebenso wie zwei Figuren oder deren Beine und Füße, Körper oder Schatten, einander ähnlich, aber nicht identisch, die neben- und miteinander stehen, gehen, reden; oder trichterförmige Gebilde, aus denen Strom, in Energie verwandelte Worte oder Informationen zu fließen scheinen wie durch Telekommunikationsleitungen oder gedankliche Ströme, die sich zu sphärischen Lineaturen verdichten. Obwohl thematisch in dieser Einheit verbunden, steht jedes einzelne Werk für sich, als Teil eines Ganzen, das seine für den Künstler relevante Entstehungsgeschichte hat, das aber gut auch ohne den Rest der Werkgruppe und ohne das Wissen um seine Genese auskommt.

Ebenfalls sehr konkret war der Anlass zu der Gruppe von „Deep Water“ (2010). In der Folge der unfassbaren Ölkatastrophe im Golf von Mexiko, die auch zwei Jahre danach und bis in weite Zukunft ihre zerstörerischen Auswirkungen zeigt,  entstanden diese Blätter auf türkis karierter Baufolie. Im Kleinen wie im Großen wirken diese Arbeiten wie von der trüben Farbigkeit einer Lagune getragen; der Statik des Gittergeflechts entgegenwirkend, schwirren die Zeichnungen ohne erkenntlichen Grund, Richtung oder Sinn über und durch die Bildfläche; dennoch formieren sich die Linien mal zu einem Fisch oder zu einem Schiffsrumpf, mal zu einem vulkanartigen Krater, und während die energetisch aufgeladene orange Signalfarbe wie ein Lavastrom aus der Fläche strömt, mischt sich das schwarze Gold träge und gefährlich mit dem maritimen Raum.

Die Reihe „Aroma“ (2010-2011) schließlich entstand jüngst nach dem Eindruck mehrerer Romfahrten, die einen nachhaltigen Geschmack von Licht, Luft und Leben auf der Zunge hinterlassen und im Gedächtnis des Künstlers eingeschrieben haben wie eine ‚Granita al limone’. Gelb und Rot, die Farben des römischen Stadtwappens, und das Hellblau eines ewig strahlenden Himmels leuchten einem hier entgegen im rhythmischen Wechsel von Liniengewirr und Fläche, von konzentrierter Dichte und lasierendem Untergrund. Hier lassen sich durchaus motivische Bezüge herstellen zur römischen Wölfin oder dem Pferd des Marc Aurel, zur Innenansicht des Pantheon oder der Kuppel des Petersdomes. Diese Werkreihe ist aber alles andere als ein künstlerisches Reisetagebuch im Sinne einer mimetischen Abfolge historischer Orte in Rom. Es sind auch hier die Eindrücke, Erinnerungen und Sehnsüchte des aufmerksam und sensibel Beobachtenden, die ihre Spuren im Befinden des Künstlers hinterließen. Das quirlige, bisweilen hektische Treiben in der Ewigen Stadt und die zugleich imposante Ausstrahlung ihrer geschichts- und kunstträchtigen Orte, das gleichzeitige Sein unterschiedlichster Epochen und das Gemenge ihrer Geschichten prägen diese expressiven und aromatischen Skizzen eindrücklicher Rom-Erfahrungen. Und bei aller Nähe zu den architektonischen Highlights der Stadt lassen die zeichnerischen Abstraktionen genug spielerischen Raum für den Betrachter, sie mit Ahnungen und Impressionen eigener Art zu füllen.
So fügen sich die unterschiedlichen Werkgruppen von Klaus Florian zu einem facettenreichen künstlerischen Kosmos; seine an die Grenzen zur Malerei stoßenden Zeichnungen laden den Betrachter zu Reisen durch fremde und doch vertraute Bildwelten ein. Je mehr man sich auf eine solche Reise einzulassen bereit ist, desto tiefer und weiter werden sich einem die Räume des Künstlers eröffnen.

Dr. Gundula Caspary, Stadtmuseum Siegburg